‚Deformation professionelle‘
Mediation, eine 'natürliche' Form der Konfliktlösung?
Eine Expertin beschreibt darin Restorative Justice so: „Es sollten nicht andere über die Probleme von Menschen entscheiden, sondern die Menschen sollten selber Ihre Konflikte regeln“. So weit so gut. Sie beschreibt zutreffend den Kern von Restorative Justice.
„Natürlich“, so weiter im Nachsatz, soll das Ganze nur mit Hilfe von „Personen, die neutral sind, die sie dabei unterstützen,“ stattfinden. Warum eigentlich? Traut die Expertin das den Menschen grundsätzlich nicht zu?
Über das kleine Wort ‚natürlich‘ bin ich gestolpert. Was ist mit ‚natürlich‘ in diesem Kontext gemeint? Eine kleine Recherche ergab folgende Bedeutungen: dem Gesetz der Natur entsprechend, selbstverständlich, klar, im Sinne von einfach, ursprünglich, selbstredend usw.
Ist das tatsächlich der Fall? Lösen Menschen ihre Konflikte selbstverständlich immer mit neutralen Dritten? Bedarf es selbstredend der Unterstützung? Ich würde das verneinen. Viele Menschen sind in der Lage, ihre Konflikte selbständig, verantwortungsbewusst und gewaltfrei durch Kommunikation zu lösen. Das sollte man sie dann auch lassen und nicht die eine Variante mit einem neutralen Dritten als die ‚natürliche‘ bezeichnen.
Die Beteiligung von externen Vermittlern ist zwar langsam auf dem Vormarsch und in vielen Fällen als Angebot sicher sehr hilfreich. Dieses Vorgehen ist aber unter dem Begriff der ‚Mediation‘ zu subsumieren und keinesfalls mit Restorative Justice gleichzusetzen.
An anderer Stelle des Beitrags sagt ein Mediator: „Restorative Justice bedeutet, dass nicht irgendwelche externen Experten das Ding klären, und ein Urteil fällen, sondern die direkt Betroffenen mit in die Verantwortung genommen werden, Konflikte zu lösen und Gerechtigkeit herzustellen.“
Auch hier kommt ein Verständnis zum Ausdruck das den Mediator als natürlichen und integrierten Bestandteil des Prozesses der Konfliktlösung wahrnimmt, während es da draußen noch irgendwelche externe Experten gibt, die mit Vorsicht zu genießen sind.
Gleichzeitig wird die Mediation zunehmend als exklusives Arbeitsfeld propagiert, das nur mit hoher beruflicher Qualifizierung bewältigt werden kann. Expertentum in Reinkultur! Profis können Konfliktlösung - gut ausgebildet - wahrscheinlich manchmal besser, als ganz normale Menschen, aber sind sie dadurch nicht immer auch ein Baustein dafür, dass es Betroffene verlernen Konflikte selbst zu lösen?
Der schöne Begriff ‚Deformation professionelle‘ beschreibt „die Neigung eine berufs- oder fachbedingte Methode oder Perspektive unbewusst über ihren Geltungsbereich hinaus anzuwenden.“ (Wikipedia)
Genau das ist der Fall, wenn die Einschaltung eines Mediators als „natürlich“ betont wird und die eigentlichen Zielsetzungen von Restorative Justice – die gänzlich autonome Konfliktlösung, die Rückgabe des Konflikts an die Betroffenen, die zivilgesellschaftliche Einbindung u.v.m. – in den Hintergrund treten.